Bildergalerie zur Eröffnung am 2. August 2020

Rede von Christian Frietsch

VIDEO und Abschrift

Rede von Margret Mergen

Oberbürgermeisterin von Baden-Baden

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Rede von Alisa Melcher

Vorsitzende des Vereins „Hommage an Baden-Baden“​

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Rede von Eduard Freudl

Organisator der letzten Ausstellung der Künstlerin im Jahr 2007 in ihrer Heimatstadt Baden-Baden

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Die Rede von Christian Frietsch im Wortlaut:

 

Verehrte Gäste, liebe Freunde,

herzlich willkommen, bienvenue, Доброе утро, guten Morgen,

ich bin dankbar, Frau Oberbürgermeisterin Margret Mergen, dass Sie zur Eröffnung vom Kunsthaus Museum Elisabeth Frietsch-Eyer gekommen sind, um zu uns zu sprechen.

Ich begrüße Valentina Juschina, stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Russischen Kulturgesellschaft, Anemone Bippes, Vorsitzende des Stadtbezirksverbandes der CDU Baden-Baden, Benjamin Vataman, ehemaliger Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden, für den Baden-Badener Gemeinderat, den FDP-Fraktionsvorsitzenden Rolf Pilarski, Stadtrat Werner Schmoll für die SPD, den Europaabgeordneten Joachim Kuhs, der die AfD auch als Stadtrat vertritt, und Martin Ernst, Fraktionschef der FBB, Prof. Thomas Bippes, der Kunst und Kommunikation beurteilen kann und gelegentlich für goodnews4.de Kommentare schreibt.

Die verehrten Mitglieder des Fördervereins Hommage an Baden-Baden e.V. werden im Anschluss an meine Rede von meiner lieben Tochter Alisa begrüßt, die als Vereinsvorsitzende diese Aufgabe von ihrer Großmutter übernommen hat.

Wir sind – von den Umständen der Pandemie erzwungen – ein kleiner Kreis von 20 Gästen. Wir haben nach den gültigen Regeln der Corona-Rechtsverordnung keine Abstandsregeln und auch keine Verpflichtung Mund- und Nasenschutz zu tragen. Wir haben die Sitzordnung dennoch mit Rücksicht auf die Situation angepasst.

Ende der neunziger Jahre erhielt meine Mutter eine Anfrage von den mit dem Umbau der Russischen Botschaft Beauftragten, ob man für die Neuplanung und Renovierung des Botschaftsgebäudes «Unter den Linden» in Berlin, einige Bilder erwerben könne, mit Russischen Dichtern des Neunzehnten Jahrhunderts, den Russenbaum und anderen Motiven. Meine Mutter teilte mit, dass sie keine Kunstwerke mehr veräußere. Auch ein Angebot von 10.000 D-Mark für jedes Werk konnte daran nichts ändern. In ihren Erinnerungen hat sie aufgeschrieben, dass sie sich schon davor entschieden habe, keine ihrer Bilder zu veräußern, weil sie ausreichend Mittel habe und keine ihrer Bilder oder andere Werke mehr veräußern müsse.

So entstand eine große Sammlung von schätzungsweise 500 Werken. Die Sondierung und das Kuratieren ihres Schaffens ist nicht abgeschlossen. Es war ihr schriftlich formulierter letzter Wille, dass hier ein Kunsthaus mit ihrer Botschaft an unser Baden-Baden, an Frankreich, an Russland und an Europa entstehen sollte. Und ihr war klar, dass es über diese Botschaft insgesamt nur diese eine Welt gibt, die wir haben.

Nicht lange vor ihrem Tod schuf sie das Werk «Der blaue Planet». «Das einzige was bleibt ist die Kunst», ist das knappe Resümee von Arthur Miller, zu allem, was wir für die Zeit nach unserem Leben erwarten können. Vielleicht ist es nicht ganz so, es bleibt auch die Liebe der Nächsten. Aber nach einigen Generationen ist auch diese Erinnerung verblasst.

Für meine Mutter war schon in ihrem Leben alles, was sie wollte, die Kunst, und nur die Kunst. Das Licht, da oben in ihrem Malerinnen-Studio, brannte von der abendlichen Dämmerung bis zum Morgengrauen. Mehr als 10.000 Nächte lang.

Meine Mutter wusste also, was sie zu tun hatte und wo sie hingehört. Das war in ihrer, in unserer Familiengeschichte ganz anders. Da wusste niemand, wo er hingehörte. Ihr Großvater wurde als Franzose geboren und musste Deutscher werden, ihr Vater wurde als Deutscher geboren, musste Franzose werden. Diese, unsere Familiengeschichte, war nicht nur deshalb ein ziemliches Durcheinander und kein Halt. Entlang dieser 200 Kilometer langen Grenze zwischen den 1000-jährigen Erzfeinden zog das Feuer von Liebe und Verzweiflung nicht nur durch die in ihrer Identität schwer bestimmbaren Völker, sondern durch jene Familien, die viel zu früh europäisch geworden waren. Und verzweifelt dankbar konnten diese Familien sein, wenn sich ein einflussreicher Nazi auf der deutschen Seite der Familie befand. Das Wort von Hermann Göring «Wer ein Jude ist, das bestimme ich», galt auch für die Familienbeziehungen zur feindlichen Seite, auf der westlichen Seite des Rheins. Wer eine gefährliche Familie war, bestimmten die Nazis.

Um mit diesem Koordinatensystem umgehen zu können, entdeckte Elisabeth Frietsch-Eyer einen großzügigen Helfershelfer. Die Kunst. Sie flüchtete nicht etwa gemeinsam mit diesem Verbündeten vor irgendwelchen Realitäten, die ohnehin erst testiert werden, wenn Sieger und Verlierer feststehen. In ihrer Kunst hat sie immer nur den Teil der Realität gesucht, der als Essenz für die Zukunft taugt. Und dazu musste sie die Frage beantworten: Was ist unserer Identität?

Schon für jeden von uns ist es nicht einfach, eine Auskunft zu geben, über die eigene Identität, die jeden Tag neue Züge annehmen kann. Wie viel schwerer ist die Identität eines Landes, einer Stadt zu bestimmen?

Meine Mutter hatte aber keine Zweifel über die Identität unserer Stadt Baden-Baden. Nicht eifrige Historiker haben ihr das Wissen vermittelt, um diese Identität zu bestimmen, sondern ihre eigene Familie. Ihre Eltern und Großeltern überlieferten ihr die Geschichten von Begegnungen mit den Mitgliedern der europäischen Stars der großen Höfe und der großen Künste. Diese waren so zahlreich in unserer Stadt anzutreffen, dass es für beide Seiten entspannt zuging. Die Prominenten mussten keinen lästigen Starkult befürchten. Die Baden-Badener gerieten nicht in Gefahr vor großen Namen zu erblassen. Es gab zu viele davon. In Petersburg gab es nur einen Zaren-Hof. In Baden-Baden waren viele Herrscher-Höfe zu Hause. Die Fürsten und die Dichter. Gogol, Gontscharow, Gortschakow, Dostojewski und Turgenjew. Meine Mutter nannte sie Dichterfürsten. Die politischen Großfürsten hießen Alexander Nikolajew Romanow, Nikolaj Gagarin und Wladimir Menshikow. Dazu gehörte auch eine Elisabeth, die Zarin Elisabeth von Russland, die in Baden-Baden, damals noch nicht zweisilbig, ihre Familie besuchte. Und hier unten in der Stefanienstraße, gerade mal 300 Meter von hier entfernt, war die Tochter von Napoleon Bonaparte zu Hause. In ihrem Sommerschlösschen in der Stefaniestraße.

Dieses – vor allem geistige – Erbe, europäisches Erbe, hat Elisabeth Frietsch-Eyer festgehalten. Und wer sich damit befasst, wird von dieser Identität von Baden-Baden profitieren. Es ist ein ideelles Kapital und auch ein wirtschaftliches Kapital. Jedes Bild erzählt eine Geschichte und gibt Auskunft für den gemeinsamen, friedlichen Weg mit allen Nationen, Dichtern, Denkern, Herrschern und selbst mit den Despoten. Und Baden-Baden war für meine Mutter kein Kurort.

Es ist auch ein Kurort. Clara Schumann und Pauline Viardot und ihr Vertrauter Johannes Brahms und all die andern trafen sich im Conversations-Haus, nicht in einem Kurhaus. Conversations-Haus, welch ein prächtiger Name für jede Zukunft. Der Erfolg dieser Conversation findet sich in fast allen Bildern meiner Mutter. Die Conversation zwischen den Herrschenden und Beherrschten, die Conversation zwischen den Künstlern und Kaufleuten. Unsere Stadt hat unserem Land Baden-Württemberg die erste Hälfte des Namens gegeben. Und eben der Adoptivvater von Stephanie Beauhavais, Napoleon, ist dafür verantwortlich, er zog das kleine Baden in die Länge und die Residenzen wechselten stetig. Baden-Baden blieb die historische Residenz und so wiederholte sich die Geschichte. Die Russen kamen wieder in unseren Tagen. Die Franzosen sind uns sowieso Nahe. Nicht nur geografisch. Und alle Antworten zur Identität unserer Stadt und Europa finden sich in den Bildern von Elisabeth Frietsch-Eyer.

Europa geht nicht ohne die Franzosen und ohne die Russen. Wer heute in Moskau unterwegs ist, vernimmt die Sicht die Wendung – hier ist Russland und dort im Westen ist Europa. Das war für meine Mutter immer unverständlich. Russland ist ein Teil unseres Europas. Und die Werke, die Sie heute sehen, geben dazu mehr als politische Auskünfte.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Angebot meiner Mutter annehmen und die Botschaften von Elisabeth Frietsch-Eyer auch mitnehmen ins Baden-Badener Rathaus, nach Strasbourg und Brüssel oder nach Moskau und nach St-Petersburg.

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, bei allen die geholfen haben, das Museum zu zimmern, bei meiner Frau Nadja bedanke ich mich für ihre Geduld und meiner Tochter Alisa für ihren Mut, jetzt gleich an das Rednerpult zu treten.